Ich sitze nun schon eine Weile an der Theke in dieser kleinen Taverne in Beggar’s Court und warte. Außer mir sind zu dieser späten Stunde nicht mehr viele Gäste anwesend. In einer dunklen Ecke sitzen einige Menschen mit heruntergekommenem Aussehen, vermutlich Schmuggler, und in der Nähe des Eingangs haben sich einige Trolle um einen Tisch gruppiert. Sie scheinen bereits einiges über den Durst getrunken zu haben und einige der vorher noch anwesenden Gäste sind bereits aus Angst vor einer Schlägerei oder Schlimmerem gegangen. Nur ein weiterer Tisch ist noch besetzt und zwar von Barbaren, die ebenfalls bereits einiges getrunken haben und sich vor den Trollen nicht zu fürchten scheinen, im Gegenteil sieht es eher so aus, als ob auch sie sich nach einer ordentlichen Prügelei sehnen würden. Momentan bleibt es jedoch noch bei wütenden Blicken und einigen höhnischen Bemerkungen, vermutlich weil die beiden Türsteher, über drei Meter große und fast ebenso breite Oger, in der Stadt nicht wegen ihrer Geduld bekannt geworden sind, und auch vom Wirt erzählt man sich, dass unter der Theke nicht nur Fässer, sondern auch eine meterlange Armbrust und eine große Axt liegen. Ich freue mich schon auf den Moment, in die sich eine der beiden Gruppen genug Mut angetrunken hat, um dennoch einen Streit zu beginnen. Langsam beuge ich mich über die Theke und winke den Wirt, einen muskulösen Menschen, zu mir : „Bringen Sie den Trollen noch einige Krüge Bier. Hier ist das Geld.“ Der Wirt sieht mich misstrauisch an, kann aber dank meiner weit ins Gesicht hängenden Kapuze und der mangelnden Beleuchtung mein Gesicht nicht erkennen, er scheint sich auch nicht sicher zu sein welcher Rasse ich angehöre. Schließlich ringt er sich angesichts des Goldes in meiner Hand zu dem Entschluss durch, dass ihn das auch nichts angeht und bringt den Trollen das Bier, die darüber sichtbar erfreut sind. Sie scheinen sich überhaupt nicht zu fragen, wer dafür bezahlt hat, was mich angesichts ihrer geringen Intelligenz auch kaum verwundert. Während ich den weiteren Verlauf des Geschehens gespannt beobachte, kreisen meine Gedanke um die Personen, die ich erwarte. Ihre Verspätung erstaunt mich nicht. Der Erudite namens Oylrun kommt nur selten pünktlich, und auch der andere scheint es für angemessen zu halten, seine Bedeutung durch eine Verspätung zu unterstreichen, genau wie ich es erwartet hatte. Es fällt mir so leicht, diese verachtungswürdigen Kreaturen zu durchschauen. In diesem Moment stößt einer der Trolle eine laute Bemerkung hervor, von der ich nur das Wort „Warzenschwein“ verstehe, und im nächsten Moment ist eine heftige Schlägerei im Gange. Die Oger scheinen zu meiner Freude noch nicht eingreifen zu wollen und auch der Wirt steht noch hinter der Theke, allerdings hat er jetzt eine Armbrust in der Hand. Die Aufmerksamkeit der Schmuggler in der Ecke der Taverne ist ebenfalls geweckt, sie schließen bereits Wetten über den Ausgang des Kampfes ab. Ich lehne mich gemütlich zurück und beobachte ebenfalls den Kampf. Die leichte zahlenmäßige Unterlegenheit der Barbaren wird durch den höheren Alkoholkonsum der Trolle bei weitem wieder wettgemacht und es sieht so aus als ob sie die Schlägerei gewinnen, als einer der noch stehenden Trolle plötzlich einen langen Dolch zückt. Auf diesen Moment scheint der Wirt nur gewartet zu haben, der Troll mit der Waffe wird von seinem Armbrustbolzen durchbohrt und er sagt laut : „Keine Toten in meiner Taverne.“ Die unbeabsichtigte Ironie dieser Worte entlockt mir ein leises Lächeln, obwohl der Kampf zu meinem Bedauern jetzt zu Ende ist. Die Barbaren und die Trolle werden von den Ogern hinausbegleitet, die Bewusstlosen und der Tote werden, nachdem der Wirt ihnen ihr Geld zur „Deckung der Kosten durch das zerstörte Inventar“ abgenommen hat, einfach hinausgeworfen.
Kurze Zeit später betritt ein Ratonga die Taverne und sieht sich suchend um. Ich winke ihn zu mir und wir setzen uns an einen Tisch. Ich frage leise : „Ist es Ihnen gelungen das Gewünschte zu beschaffen?“ „Ja, doch es war mit größeren Schwierigkeiten verbunden als ich erwartet hatte. Ich musste eine Tunarepriesterin beseitigen. Ich fürchte, der Preis des Kleinods hat sich verdoppelt.“ Er weiß wohl noch nicht, dass ich gar nicht beabsichtige, irgendetwas zu bezahlen und wenn er es erfährt, wird es zu spät sein. Ich setze das Gespräch trotz dieser Gedanken mit unbewegter Miene fort und sage : „Das dürfte kein Problem sein. Ich vermute, Sie haben es nicht bei sich?“ „Natürlich nicht. Sie sollten mich nicht unterschätzen, Nekromant. Wenn Sie mir in die Temple Street folgen, können wir die Übergabe an einem dafür vorbereiteten Ort vollziehen. Oder haben Sie Angst vor ein paar kleinen Ratonga?“ Die letzten Worte, die er betont spöttisch ausspricht, verraten mir alles über seine Absichten. Ich bin überzeugt, dass er mich sofort töten wird, wenn er eine Möglichkeit dazu sieht, um das Geld zu erhalten ohne das Artefakt dafür hergeben zu müssen. Dafür, dass dieses minderwertige Wesen glaubt, einen Dunkelelfen überlisten zu können, werde ich es als erstes töten. „Wir müssen noch auf jemanden warten. Dann können wir gehen.“ Der Ratonga wirkt jetzt etwas vorsichtiger und sagt misstrauisch : „Sie haben nie einen Begleiter erwähnt. Ich denke, es ist besser, wenn Sie alleine zu der Übergabe kommen.“
„Hat die Gilde der Ratonga etwa Angst vor zwei Personen?“ Bei diesen Worten mache ich seinen spöttischen Tonfall von vorher nach und wie ich es erwartet hatte gibt er nach : „Natürlich nicht. Nehmen Sie Ihren Begleiter eben mit. Allerdings sollte er nicht mehr zu lange auf sich warten lassen, sonst könnten meine Gefährten unruhig werden und mit dem Artefakt verschwinden.“ „Ich bin sicher, er wird bald eintreffen.“ Als ob er nur auf dieses Stichwort gewartet hätte, betritt Oylrun in diesem Moment den Raum. Ich erhebe mich und nach einer kurzen Begrüßung verlassen wir die Taverne.
Wir folgen dem Ratonga, der mit schnellen Schritten vorangeht, und bereits nach kurzer Zeit verliere ich in den engen Gassen die Orientierung. Es kommt mir vor, als wären wir bereits ein Ewigkeit lang gelaufen, als wir endlich am Ziel ankommen in einer dunklen Gasse erkenne ich einige Späher und einen Priester, der wahrscheinlich das Artefakt bei sich hat. Anscheinend unterschätzen die Ratonga meine Fähigkeiten, sonst wären mehr Gegner hier gewesen. Ich bemerke, wie sich Oylrun neben mir bereits auf einen Zauber konzentriert. Als wir noch ungefähr 20 Meter von der Gruppe entfernt sind, ziehe ich meinen Dolch und steche ihn unserem Führer in den Rücken. Bevor die anderen Ratonga bemerken, was los ist, springen mehrere Blitze aus den Händen meines Gefährten, die den Priester und zwei weitere Gegner sofort töten.
Nun erlangen die drei übrigen Ratonga endlich ihre Bewegungsfähigkeit zurück, allerdings scheinen sie sich über das weitere Vorgehen uneinig. Einer flüchtet sofort und der zweite bleibt abwartend stehen, während der dritte auf meinen Gefährten zurennt.
Ich konzentriere mich und spreche eine Formel, worauf sich zwei der Toten wieder erheben und auf meinen Befehl hin den anderen Ratonga angreifen, der sich inzwischen dem toten Priester genähert hat, um das Artefakt zu retten. Als er aber angegriffen wird, folgt er dem Beispiel seines Gefährten und flüchtet, was für eine derart armselige Kreatur eine überraschend kluge Entscheidung ist.
Ich wende mich wieder Oylrun zu und sehe, wie er mit seinem Stab den letzten Ratonga niederschlägt. Dann sagt er : „Jetzt gehört das Artefakt endlich mir. Bald werde ich der mächtigste Magier im Land sein. Du wirst für deine Hilfe eine großzügige Belohnung erhalten, Dunkelelf.“
Dann geht er zu dem Priester und nimmt ihm das Amulett aus der Tasche. Als er sich wieder aufrichtet, steckt mein Dolch in seinem Rücken. Er dreht sich noch um und fragt mit überraschtem Gesichtsausdruck: „Weshalb … hast du das … ?“ Doch dann verlässt ihn die Kraft und er sinkt zu Boden.
Ich lasse mir noch etwas Zeit, bevor ich das Artefakt aus seinen erstarrten Händen nehme. Endlich habe ich mein Ziel erreicht. Vor vielen Jahren entdeckte ich in einer Bibliothek in Paineel einige Aufzeichnungen über dieses Amulett, das die magischen Kräfte seines Trägers erhöht. Damals ahnte ich noch nicht, wie schwierig es sein würde, das Artefakt zu finden. Es war eine gute Idee, einige der Aufzeichnungen, die ich aus Paineel retten konnte, in die Hände eines Eruditen zu spielen. Er hatte tatsächlich bereits früher einmal Gerüchte über einen solchen Gegenstand gehört und so konnten wir den Aufenthaltsort ausfindig machen. Einige Tunarepriester versteckten es, weil sie Angst vor seiner Macht hatten.
In seiner Blindheit bot Oylrun mir sogar eine Belohnung an, wenn ich ihm den Gegenstand beschaffe. Gut, dass er tot ist. Durch seine Dummheit war er eine Gefahr für sich selbst und alle anderen.
Schließlich reiße ich ich aus meinen Erinnerungen und nehme das Artefakt. Bereits jetzt spüre ich die Macht, die davon ausgeht. Bald wird sich mein Schicksal erfüllen.
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