Es war dunkel, aber Ijo konnte als Waldelf auch hier, im dichtesten Wald den er kannte, in der Nacht genug erkennen, um seinen Weg zu finden - zumindest meistens. Heute allerdings... heute war kein guter Tag. Zwei Mal schon war er einer Orkpatrouille nur um Haaresbreite entkommen und beim Mittagessen hatte ihn ein Skelett von seinen Vorräten getrennt. Jetzt schlich er mit knurrendem Magen durch den endlosen Wald, in der Hoffnung, ein leichtverdientes Abendessen zu finden. Eine Reisegruppe, ja, das wäre ideal...
Langsam lichtete sich der Wald ein wenig. Nicht daß die Bäume so weit auseinander gestanden hätten, daß der Mond durchgeschienen hätte - nirgends im ganzen Wald kann Licht so tief dringen - aber dennoch konnte Ijo einen schwachen Lichtschein ausmachen. Ein Camp? Ja, dort würde er mit etwas Glück ein Abendessen bekommen. Im Austausch könnte er seine Fähigkeiten als Barde anbieten - die er nicht gerade gering schätzte. In Kelethin gehörte er zu den besten Schülern. Sein Talent war vielversprechend genug, daß man ihn alleine weggeschickt hatte. Kein leichter Auftrag, aber er würde die Barden nicht enttäuschen. In Greater Faydark selbst sollte er nicht allzu viele Probleme bekommen, falls er nicht gerade über eine zu große Horde Crushbone-Orks stolperte. Ein Ork alleine war ja keine besondere Bedrohung, zwei auch nicht, aber gegen zu viele von diesen blauen Plagen, konnte auch der beste Krieger nicht zu bestehen hoffen. Irgendwo hier, im westlichen Teil des Waldes, gab es angeblich einen Meisterbarden, der schon lange alleine in der Einsamkeit lebte. Ijo hatte den Auftrag erhalten, ihn zu finden.
Während er sich langsam dem Licht näherte, konnte er schon den Geruch von gegrilltem Reh riechen. Auch wenn das die anderen Rassen gerne behaupten, Waldelfen ernähren sich nicht nur von Beeren und Wurzeln und so lief Ijo das Wasser im Munde zusammen, als er an das wartende Mahl dachte. Sein Magen knurrte laut, als er sich leise seinen Wag durch die letzten Meter Unterholz bahnte, die ihm von dem Lager trennten. Sobald er allerdings den ersten Blick auf sein Ziel geworfen hatte, verfluchte er den heutigen Tag erneut. Der Eingang zu Crushbone! Verdammt seien die Götter und ihr seltsamer Sinn für Humor. Gerade als Ijo sich vorsichtig wieder zurückzihen wollte, hörte er hinter sich ein Rascheln. Mit seinem hastig gezogenen Schwert konnte er gerade noch den ersten Hieb parieren und verhindern, daß der kleine, drahtige Ork hinter ihm, seinem Leben ein aprutes Ende setzte. Der Alarmschrei der stinkenden Kreatur ließ sich allerdings nicht mehr unterbinden. Hier, im dichten Unterholz war der Ork eindeutig im Vorteil. Seine kleinere Körpergöße ermöglichte es ihm, sich freier zu bewegen als der Waldelf, der doch beinahe zwei Köpfe größer war. Ijo mußte hier so schnell als möglich hinaus - ohne dem Ork eine einfache Gelegenheit für einen tödlichen Stoß zu liefern. Die einzige Möglichkeit war, rücklinks aus dem Gestrüpp heraus, direkt auf die Lichtung vor dem Eingang zu Crushbone, wo unzweifelhaft genügend Orks warteten, um ihm den Gar aus zu machen - wobei, jetzt würden sie sicher nicht mehr warten, sondern müßten jeden Moment hier im Unterholz eintreffen... Ijo sah seine einzige Chance in seiner Geschwindigkeit. Wenn er die Lichtung schnell genug überqueren konnte...
Der Waldelf ließ sich auf den Boden fallen und entging damit einem weitern Schlag des kleinen Orks, rollte den letzten Meter auf die Lichtung und sprang dann, so schnell er konnte, auf. Tatsächlich waren schon mehrere Orks - mindestens 6 - auf dem Weg zu ihm. Als sie ihren Feind erblickten, stießen sie einen lauten Schlachtruf aus, der unweigerlich mehr Orks anlocken mußte. Ijo fluchte in Gedanken und rannte los, direkt auf die Orks zu. Als ihn nur mehr wenige Meter vor den blauen Gestalten trennten, stieß er einen grauenvollen Schrei aus: laut, schrill und schmerzlich, wie er es als Barde gelernt hatte. Einer der Orks lies sogar vor Schreck sein rostiges Schwert fallen, aber zwei, anscheinend Veteranen, konnte der Barde damit nicht beeindrucken. Sie holten aus und versuchten ihre Waffen in den Waldelfen zu rammen. Eine Axt konnte er mit seinem Schwert im Vorbeirennen abblocken, auch wenn er durch die Wucht danach seinen Arm kaum mehr spührte, aber der zweite Schlag durchdrang die Rüstung des Barden und hinterließ eine brennende Wunde an seiner rechten Schulter. Ijo schaffte es, nicht zu stolpern, rannte unbeirrt weiter, hinter ihm die lauten Schritte seiner Verfolger. Sein Schrei hatte weniger bewirkt, als er gehofft hatte und die Wunde an seiner Schulter würde schon bald seinen Schwertarm ermüden lassen. Und das alles ohne Abendessen... Es sah wirklich nicht gut aus.
Dann geschah etwas, mit dem weder Ijo noch die Orks gerechnet hatten. Ein Mann in Lederrüstung stürtzte auf die Lichtung. Er sprang dort aus dem Unterholz, wo Ijo die Lichtung verlassen wollte. Schulterlange braune Locken und ein zerzauster Bart waren alles, was der Waldelf vom Gesicht des Unbekannten erkennen konnte. Er war mindestens zwei Köpfe größer als der Barde und weitaus breiter. In der einen Hand hielt der Mann, den Ijo als Barbar einordnete, ein langes, schlankes Schwert, das der Barde wohl mit beiden Händen führen hätte müssen und in der anderen einen verzierten Parierdolch. Er stürzte sich auf die Orks, die verwirrt zu einem Halt gekommen waren und schnitt mit seinem Schwert zwei um, bevor die anderen noch reagierten. Ijo war ebenfalls stehen geblieben, unschlüssig, ob er in den Kampf eingreifen sollte. Einer gegen vier... Der Waldelf zog sein Schwert und attackierte die Orks von der anderen Flanke. Während er sich verzweifelt gegen zwei Orks zur Wehr setzte, kam er nicht umhin, den Kampfstil des anderen Mannes zu bemerken. Viel gewandter und flinker, als er es ihm bei dieser Körpermasse zugetraut hatte, wich er den Schlägen der Orks aus, wehrte die schartigen Waffen ab und fand immer wieder eine Stelle, wo die Verteidigung schwach genug war, um seinem Schwert einen Treffer zu erlauben. Ijo kannte Barbaren nur aus Erzählungen und Bilder, aber so hatte er sie sich nicht vorgestellt. Das entsprach eher den Waldelfen Kriegern und Ranger.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die verbleibenden vier Orks tot zu ihren Füßen lagen, aber Ijo sah schon die Verstärkung kommen. Der Krieger hatte sie anscheinend auch entdeckt, denn er machte sich wieder kampfbereit und sagte in der Sprache der Waldelfen: "Wenn wir die besiegt haben, schnappen wir uns das Reh und dann nichts wie weg." Ijo begann zugrinsen. Ja, so war es schon viel mehr nach seinem Geschmack.
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