Bjorkund tätschelte sein Pferd am Hals. Kein Gaul Norraths hätte ihn je schneller ans Ziel bringen können. Er war stolz, es zu besitzen. Alle waren ihm neidisch gewesen, damals… in Qeynos. Doch nach Monaten der Flucht, ja, nach Jahren voll Qualen lag es nun endlich vor ihm. Das Reich, von dem es hieß, es würde bei Nacht so grauenhaft sein, dass selbst die Seelen der Verstorbenen aus Furcht lieber in den Gräbern blieben, als an die Oberfläche zu kommen. Das Reich, das ihm, egal, wie Grausam und Finster es auch noch sein mochte - Zuflucht geben würde.
Das Reich Lucans…

Begonnen hatte seine Geschichte in der Nähe der großen Bergbausiedlungen Antonicas. Sein Vater war so etwas wie ein Minen-Magnat gewesen. >Bjorkund der Ältere< nannten sie ihn. Sein Sohn >Bjorkund der Jüngere< sollte genauso reich und berühmt werden. Er musste bei dem Gedanken an die Namenswahl jedes Mal schmunzeln. Was hätte es doch für ein angenehmes Leben werden können. Doch es kam der Krieg, die dauernden Scharmützel gegen Freihafen und die ständige Bedrohung durch die Gnolle. Es hieß in einem Edikt, dass die Minen zur >Wahrung der Rohstoffversorgung für staatliche Verteidigungsanlagen, sowie zur Sicherung der Ordnung in der Stadt Qeynos und zur Abwehr von Feinden Antonia Bales vorübergehend unter die Leitung der Regierung gestellt werden…<
Für Bjorkund brach eine Welt zusammen. Er wurde in die Miliz zwangsrekrutiert und anstelle von Erzbrocken musste er nun Gnollschädel zerschlagen. Anstelle von Nuggets musste er wichtige Beweise für einen bevorstehenden Großangriff der Gnolle suchen.
Bjorkund tat wie ihm geheißen. Er nahm seinen Kriegshammer von der Wohnzimmerwand ab, gab seiner Frau Svinga noch einen herzhaften Zwergenkuss... >Bis später, Pummelchen!< >Ja, bis später, Schatz! Stell schon mal das Bier kalt!<
Dann stapfte er hinaus, wuschelte dem Hofhund noch einmal über den Kopf, pfiff seinem Pferd Balios und schwang sich hinauf. Noch einen Blick zurück, Svinga winkte ihm aus dem Fenster zu… und vor ihm lag schon der Weg in die Wälder Antonicas.

Der Trupp überraschte die Gnolle des Nachts, Nichts blieb von ihnen übrig.
Die vermuteten wichtigen Dokumente verwandelten sich, falls es sie je gegeben haben sollte, ebenfalls in schwarze Flocken, die im Wind davon tanzten…

Für Bjorkund ging danach alles zu schnell. Sie verhafteten ihn unter dem Vorwurf, er stecke mit irgendwelchen Verrätern unter einer Decke und habe die Schriftrollen bewusst verbrannt. Die Stadtwachen warfen ihn ohne ein Verfahren in die Verliese der Königin, seiner Frau erteilten sie Besuchsverbot. Nach fünf Jahren Kerker gelang ihm endlich die Flucht, um seine Frau wieder zu sehen, um seine Unschuld zu beweisen und… um seine Minen wieder zu bekommen, die ihm so hinterhältig abgeluchst wurden.
Doch wer bot ihm Unterkunft? Wo würde er Schutz finden? Wo anders als… in der Stadt der Gesetzlosen, der Stadt der Ausgestoßenen?
Bjorkund brauchte als erstes ein Pferd. Er erfuhr von einem Landstreicher, dass vor den Toren der Stadt ein Bauer leben sollte, der einen Gaul hätte, der es schaffte, 15 Tagwerk Feld in zwei Stunden zu pflügen... Sollte er also noch leben? Der Gaul, der ihn so treu begleitet hatte?
Bjorkund suchte den Hof und Pfiff.
Ein Wiehern, wie es stolzer nicht hätte sein können, schallte aus den Boxen.
Dann ritten sie der Freiheit entgegen.

Der Weg führte sie vorbei durch Steppen und dunkle Wälder, an Gefahren vorbei, die Bjorkund sich nicht in den schlimmsten Albträumen ausmalen traute…
Doch nun standen sie auf den ersten Hügeln vor der Stadt Freihafen. Sie hatten sie es geschafft.

Fast.

Vor ihnen lagen noch ein paar Meilen letzter Trab… aber irgendetwas…
In der Dunkelheit der frühen Nacht konnte Bjorkund es nicht genau erkennen… er strengte sich an und nahm seine Nachtsicht zur Hilfe, obwohl er sie eigentlich eher hinderlich fand, da sie ein wenig Kopfschmerz hervorrief.
Ja, ein kleines Bündel… Es lag dort, wie angespült, an einem kleinen Bachlauf. Der Zwerg stieg von einem Ross herab und kniete sich hin.
Es war eine kleine Rattonga, völlig durchnässt und unterkühlt. Sie zitterte wie Espenlaub und murmelte immerzu >Talk… Talk…<
Er rubbelte sie trocken und flößte ihr einen kleinen Schluck Zwergenbier aus seiner Feldflasche ein. Die darauf einsetzende Redseligkeit hatte Bjorkund zum letzten Mal bei Gnomkindern in Erinnerung.
Sie erzählte von der Suche nach ihrem Bruder, von einem Krosskrün, den Bjorkund nicht zuordnen konnte und von einem riesigen Drachen, den sie heldenhaft…
Der Zwerg nahm seine Flasche erneut zur Hand, nach ein paar weiteren Schlucken war sie ruhig gestellt. Dann wuchtete er das Bündel auf seinen Gaul, der, unter der Last, einen kleinen, fetten Zwerg und noch dazu eine Rattonga zu tragen, nun etwas wankte.

Langsam trottete das ungleiche Gespann den Toren der Stadt entgegen…

Den ersten Milizionär konnte Bjorkund noch mit einem huldvollen Nicken davor bewahren, ihn nach einem Passierschein zu fragen, doch der Zweite ließ nicht locker.
>Ich … *äh* … bringe eine Vermisste nach Hause. Sie hatte sich verlaufen...<
Der Dunkelelf musterte den Fremden ausgiebig und schlug die Decke auf, in die Nhijks verpackt war.
>Soso… verlaufen, eine Rattonga, wie? … Und die findet mal so nebenbei ein… Zwerg.<
(schallendes Gelächter)
Ein herbei gewunkener Oger sah auf die drei herab.
>Ich bin ein verbündeter Spion und bringe wichtige Nachrichten der *äh* Freihafener Bewegung für ein freies Qeynos. Das hier ist „Nix“ oder so ähnlich, ich habe sie auf dem Weg aufgelesen. Sie suchte ihren Bruder Talk, einen Kellner und hatte sich womöglich verlaufen, als sie vor einem riesigen Flugdrachen…<
Dem Zwerg kam es vor, als redete er an einem Stück mehr als damals, als er mit seiner Frau zum letzten Mal über diese neue Biersorte, die es in einer…
>Talk?<
Die Gedankenwirrungen verpufften, als der Dunkelelf sein Wort erhob.
Er wandte sich zu dem vermutlich ranghöheren Oger:
>Diese krosse Schnecke Sabal… diese Neue aus dem Süd-Viertel, du weißt schon… sie hatte neulich so etwas Ähnliches erwähnt. Was aber nichts an der Sache ändert, dass wir hier einen stinkenden Zwerg vor uns haben.<
Der Oger nickte und sabberte leicht, warum auch immer.
>Also… hör mal zu, du… Zwerg. Du hast Gewähr, für heute Nacht. Such dir ein Quartier, aber morgen bist du hier und beantragst ein Visum. Und bring mir dieses schreckliche Rattonga-Etwas nie wieder unter die Augen!<

Das Tor öffnete sich schwer und Bjorkund sog den ungewohnten Duft der Stadt ein, die seine neue Heimat werden würde.
Er fand, dass sie irgendwie nicht so schlecht roch, verglichen mit dem Dunst, der aus seinen Stiefeln stieg.

>Ach, würde das doch Svinga miterleben können!<